
Es war ein kalter, klarer Novembernachmittag in Wien, und die Stadt war bereits in festliche Lichter getaucht. Ich hatte eine Besichtigung in einer charmanten Altbauwohnung im dritten Bezirk geplant – ein echtes Schmuckstück mit hohen Decken, Fischgrätparkett und diesen wunderbaren Flügeltüren, die dem Raum eine ganz besondere Eleganz verleihen.
Die Interessentin, Frau Bauer, eine sympathische Dame Anfang vierzig, war sofort begeistert. Während ich ihr die Vorzüge der Wohnung erläuterte – die großzügige Raumaufteilung, die hervorragende Lage und die typische Wiener Altbau-Atmosphäre –, sah ich, wie ihre Augen zu leuchten begannen. Es schien, als hätten wir die perfekte Wohnung für sie gefunden.
Wir bewegten uns durch die Räume, und sie inspizierte gerade die geräumige Küche, als plötzlich ein lautes Poltern aus dem Wohnzimmer ertönte. Ein Moment der Verwirrung – was war das?
Gemeinsam gingen wir zurück ins Wohnzimmer, nur um dort einen älteren Herrn im karierten Pyjama anzutreffen, der seelenruhig die Fenster öffnete und tief die kalte Winterluft einatmete. “Ah, die Aussicht ist hier wirklich schön,” murmelte er zufrieden, bevor er sich zu uns umdrehte. Seine Augen weiteten sich leicht, als er mich erkannte. “Herr Nachbar! Schon wieder auf Entdeckungstour?” fragte ich, während ich ein Schmunzeln unterdrückte.
Der Herr, den ich bereits von früheren Besichtigungen kannte, war der Nachbar aus der Wohnung nebenan. Offensichtlich hatte er wieder einmal die Orientierung verloren und war irrtümlich in die zu besichtigende Wohnung geraten. “Oh, das ist ja gar nicht meine,” sagte er nachdenklich, bevor er mit einem schelmischen Lächeln hinzufügte: “Aber sehr schön haben Sie es hier hergerichtet. Kommt da noch ein Christbaum rein?” Frau Bauer konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Die skurrile Szene lockerte die Atmosphäre sofort auf. “Ich wusste gar nicht, dass Besichtigungen hier so lebhaft sind,” sagte sie schmunzelnd, während der Nachbar in aller Ruhe seinen Rückweg antrat – natürlich nicht ohne uns frohe Weihnachten zu wünschen.
Nach dieser unerwarteten Episode sah Frau Bauer die Wohnung plötzlich mit anderen Augen. “Ich glaube, ich könnte mich hier wohlfühlen,” sagte sie. “Eine Wohnung mit Charakter – und dazu noch ein Nachbar, der die Weihnachts-stimmung bringt. Das hat man nicht überall.”
Ein paar Tage später, während draußen der erste Schnee fiel und die Stadt noch mehr in festlichem Glanz erstrahlte, unterschrieb Frau Bauer den Kaufvertrag. Als wir uns verabschiedeten, meinte sie lachend: “Jetzt hoffe ich nur, dass der Nachbar mich auch mal zum Kaffee besucht – aber bitte durch die richtige Tür!”
So wurde aus einer gewöhnlichen Wohnungsbesichtigung eine unvergessliche Geschichte, die mir wieder einmal zeigte, dass der Zauber von Immobilien nicht nur in den vier Wänden liegt, sondern auch in den Menschen, die ihnen Leben einhauchen.
Foto: Freepik/Luis_Molinero
Name der Kundin wurde geändert